BLOG << Vor wem haben wir Angst? „Der Fremde“ als rassistische und klassistische Projektion

14. Februar 2021

Dieser Blog-Artikel ist eine Weiterführung des Berichts zum Workshop „Documenting Nocturnal Flâneuserie“. Er vertieft die Diskussionen darüber, wie die Gefühle der Angst vor bestimmten Körpern durch gesellschatliche Narrative geprägt ist.

Der schwarze männliche Körper wird als Fremder an einem Ort, der vom weißen Blick als weiß imaginiert wird, in einen Körper verwandelt, der als störend, als „merkwürdig“, als potentiell gefährlich gelesen wird. Diese Horror-Phantasie des gefährlichen „Anderen“ stellt weiße Mittelklassefrauen als Opfer dar, die des Schutzes durch die prototypischen weißen männlichen Helden würdig sind, die für „ihre Frauen“ kämpfen. Weiße Frauen werden so zur Verkörperung des reinen Weißseins im Gegensatz zum imaginierten „Anderen“.

Es ist wichtig zu erkennen, dass dies an eine gewalttätige Kolonialgeschichte anknüpft, in der der Imperialismus durch das gerechtfertigt wurde und wird, was Sara Ferris als Femonationalismus bezeichnet: die Aneignung feministischer Ideen und der Ruf nach Sicherheit für Frauen mit dem Ziel, Nationalismus, Rassismus, Kolonisation und Patriarchat zu rechtfertigen. Es sind „weiße Männer, die braune Frauen vor braunen Männern retten“, die rassistischen Kolonialismus und Imperialismus moralisch rechtfertigen sollen (Gayatri Spivak in „Can the Subaltern speak“; hier klicken, um zur deutschen Ausgabe zu gelangen)

Diese Geschichte ist nicht ohne Folgen geblieben: ihre Techniken und Ideologien zirkulieren auch heute noch, um unsere Körper und ihre Erscheinung im öffentlichen Raum sozial zu verwalten: „Es kann nichts Gefährlicheres für einen Körper geben als die soziale Übereinkunft, dass dieser Körper gefährlich ist“, schreibt Sara Ahmed und weist darauf hin, wie auch unsere Ängste sozial ko-konstruiert sind (hier klicken, um zu dem englischen Blog-Artikel „Making Strangers zu lesen). Soziale Ängste verwalten unterschiedliche Körper und halten sie an ihren vermeintlich angemessenen (sozialen) Platz.

Das rassistische Narrativ der „Fremden Gefahr“ dient somit den vielschichtigen Zielen einer rassistischen Heteropartiarchie: Es beschränkt weiße Frauen auf ihre „privaten Räume“ und definiert damit sicherheitsrelevante Weiblichkeit als verletzliche Opfer, weiß und an den Herd in ihrem Haushalt (d.h. bürgerlich) gebunden. In der Folge reproduziert sie eine Art von Rassismus, der dazu dient, Schwarze, braune, Arbeiter- und arme Körper unter dem Vorwand zu überwachen, sie seien allein durch ihre Existenz eine Gefahr. Das ist Rassismus in seiner reinsten Form. Racial Profiling ist eine der vielen Ausdrucksformen davon. Weiße Frauen, die ihr Weißsein zu einer Waffe machen und die Polizei auf BIPoC hetzen, weil sie deren Existenz als „verdächtig“ oder „bedrohlich“ wahrnehmen, ist eine andere.

Schließlich soll damit davon abgelenkt werden, dass es eigentlich der vom Patriarchat geschaffene private Raum ist, der für Frauen am gefährlichsten ist, was die statistische Wahrscheinlichkeit betrifft, häusliche, sexuelle oder sexualisierte Gewalt und Missbrauch zu erleiden. Doch die Furcht und Angst vor dem (imaginierten) Fremden, in das wir hineinwachsen, hält uns genau dort, in einer potentiellen Gefahrenzone – während sie uns alle davon abhält, eine Gefahr für die patriarchale Politik zu werden, indem wir den öffentlichen Raum betreten und ihn als den unseren beanspruchen.